August 2023
Nicole Langenbach, Pressesprecherin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) und Partnerin des Development Engagement Lab, reflektiert über die Annahmen, die unsere Sprache beeinflussen, wenn wir über Bevölkerungswachstum sprechen und warum der Sektor die Warnungen aus dem jüngsten UNFPA Weltbevölkerungsbericht “8 Milliarden Leben, unendliche Möglichkeiten” beherzigen sollte.
Über 8 Milliarden Menschen leben aktuell auf der Erde. Als diese Schwelle nach offizieller Zählung der Vereinten Nationen im vergangenem November überschritten wurde, waren viele besorgte Stimmen zu hören, deren Grundtenor lautete: Zu viele Menschen zerstören den Planeten. Der aktuelle Weltbevölkerungsbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dessen deutsche Kurzfassung die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) herausgibt, schlägt einen ganz anderen Ton an: „8 Milliarden Leben, unendliche Möglichkeiten: ein Plädoyer für Rechte und freie Entscheidungen“, so der Titel. Nicht nur inhaltlich wird darin die Behauptung wiederlegt, eine vermeintliche „Überbevölkerung“ sei für den Klimawandel verantwortlich, der Bericht zeigt auch sehr eindrücklich die Wirkung einer bestimmten Wortwahl.
Die meist auf den Globalen Süden gemünzte „Überbevölkerung“ ebenso wie die im Globalen Norden befürchtete „Unterbevölkerung“ sind nicht nur weit verbreitete, sondern auch angsteinflößende Schlagworte, wobei insbesondere die Botschaft, es seien „zu viele“ ein zweifelhaftes Menschenbild abgibt. Denn daran schließt sich ja zwingend die Frage an: Wer ist zu viel? Wo? Und warum? Bei letzterer Frage ist der Rückschluss zu „den Frauen“ schnell gezogen, weil sie es sind, die zu viele Kinder (oder je nach Region zu wenige) bekommen – der Ruf nach einer entsprechenden „Bevölkerungspolitik“ scheint die logische Konsequenz.
Doch was verbirgt sich hinter dem vermeintlich harmlosen Begriff der „Bevölkerungspolitik“? In vielen Fällen nicht mehr und nicht weniger als ein Eingriff des Staates, der Frauen dazu bringen will mehr oder weniger Kinder zu bekommen, oft getrieben von ökonomischen, aber auch gesellschaftlichen oder religiösen Motiven. Dass dies, wie der Bericht zeigt, in der Regel misslingt, macht die Sache nicht besser. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird in Frage gestellt, häufig auf Kosten ihrer Gesundheit. Etwas ganz anderes ist die „Familienpolitik“, die unter anderem darauf abzielt, es insbesondere Frauen zu ermöglichen, selbstbestimmt zu entscheiden und zum Beispiel, wenn gewünscht, Kinder und Beruf miteinander zu verbinden.
An vielen Stellen ist es angemessener anstelle von „Verhütung“ den zugegeben etwas sperrigen Begriff der „Familienplanung“ zu gebrauchen. Denn es geht nicht immer nur darum, Schwangerschaften und in der Folge die Geburt eines Kindes zu „verhüten“, sondern es geht darum, den Frauen die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt zu planen, wann und mit wem sie wie viele Kinder bekommen wollen – oder auch nicht. Dafür wiederum bedarf es selbstverständlich der Möglichkeit der Verhütung.
Und noch ein Begriff ist entscheidend. Es mag als Haarspalterei erscheinen, aber „ungewollte Schwangerschaften“ bedeuten etwas Anderes als „unbeabsichtigte“. Als „ungewollt“ gelten Fälle, in denen die Frau überhaupt keine oder nicht noch mehr Kinder bekommen möchten, „unbeabsichtigte“ Schwangerschaften können auch zum falschen Zeitpunkt kommen, also zum Beispiel viel zu früh. Der Begriff schließt die ungewollten Schwangerschaften mit ein. Für die Glaubwürdigkeit von Zahlen wie jener, dass bis heute jede zweite Schwangerschaft auf dieser Welt eine „unbeabsichtigte“ ist, hat diese Differenzierung hohe Relevanz.
Der Bericht stellt nicht in Frage, dass die „Bevölkerungsentwicklung“ ein wichtiges Thema ist, aber er warnt vor dem Trugschluss, dass man die polemisch sogenannte „Bevölkerungsexplosion“ oder den „Bevölkerungseinbruch“ durch eine „Korrektur“ der Fertilitätsraten verhindern könnte. Dagegen setzt er das Konzept der „demografischen Resilienz“. Diese wird nicht zuletzt auch dann erreicht, wenn Frauen die Zahl ihrer Kinder wirklich selbstbestimmt planen können, also frei von politischen, gesellschaftlichen aber auch wirtschaftlichen Zwängen – das gilt im Globalen Norden nicht weniger als im Globalen Süden. In beiden Richtungen stehen die Zeichen diesbezüglich leider aktuell nicht zum Besten.
Doch die Botschaft des Weltbevölkerungsberichts ist eine positive. Dafür stehen auch die Illustrationen. Sehr bewusst hat man sich für die sehr moderne, zukunftsorientierte, weil ausschließlich mit künstlicher Intelligenz geschaffene Arbeit der Künstlerin Cecilie Waagner Falkenstrøm entschieden: ein Blick in die Zukunft mit all ihren Gefahren und Verheißungen, Ängsten, aber auch unendlichen Möglichkeiten, die in Reichweite liegen, wenn Rechte und freie Entscheidungen gewährleistet sind.